Lesung mit Musik und Malerei

Titelbild: Der Musiker (Josef Irgmaier), die Malerin (Luise Wittmann) und der Dichter (Siegfried Völlger)

Künstlerischer Dreiklang im Zollhäusl

Buchvorstellung, Vernissage und Hauskonzert in einem: Am Freitagabend startete die Tittmoninger Galerie im Zollhäusl mit einem künstlerischen Dreiklang in die neue Ausstellungssaison. Vor dicht gefüllten Reihen präsentierte Siegfried Völlger seinen druckfrischen Gedichtband Gespräch mit dem Wal und Freunden zwischen einer „ausWal“ neuer Bilder der Malerin und Galeristin Luise Wittmann. Musikalisch akzentuiert wurde die Lesung von Josef Irgmaier.

Anlass und Ausgangspunkt des Abends war Völlgers soeben erschienene Gedichtsammlung aus siebenmal sieben Gedichten, einem fünf Texte umfassenden „Nachtmuseum“-Zyklus sowie einer Reihe, die den Botanischen Garten in Augsburg zum Thema hat. Doch auch aus seinem 2021 während des Lockdowns und deshalb weitgehend unbeachtet erschienenen Band Pilzfreund Bielers Posaune trug der Autor einige Gedichte vor. Zumeist Miniaturen, extrem verdichtet, oft mit leisem Humor pointiert, gelegentlich aber auch überraschend abbrechend mit offenem Schluss, sind seine Texte Momentaufnahmen aus dem Leben eines hellwach Wahrnehmenden und tiefgründige Betrachtungen über zentrale, auch über abwegigere Fragen des Lebens. „Achten Sie darauf, wie in den Sätzen, Fragmenten, Brüchen unsere Gegenwart aufs Minimale konzentriert und der Innenwelt gegenübergestellt wird“, hatte Josef Wittmann in seiner Einführung dem Publikum geraten.

Diese Druckgrafik von Luise Wittmann ziert den neuen Gedichtband von Siegfried Völlger

Beide Bücher zieren Titelbilder von Luise Wittmann. Völlger, den eine jahrzehntelange Freundschaft mit der Malerin verbindet und der sich selbst als Fan ihrer Bilder bezeichnet, hatte sich gewünscht, seine Buchvorstellung im Zollhäusl zwischen ihren Werken abhalten zu dürfen. So war der Abend zugleich Eröffnung einer Ausstellung mit jüngeren Gemälden, Zeichnungen und Grafiken von Luise Wittmann. Im Eingangsbereich sind unter anderem die Originale der beiden Buchcovers zu sehen, die Lesung fand gegenüber einer Reihe farbig akzentuierter Kleinformate statt, für die Wittmann sich von Völlgers Gedichten hatte inspirieren lassen. Im Untergeschoss findet man auch schwerere „Kost“ in düsteren Tönen und Blutrot: vielfältig wie das Leben und unkonventionell wie der Titel auch diese „ausWAL“.

Anders denken, frisch sehen

Vor viereinhalb Jahren hatte der im Bayerischen Wald geborene, in Augsburg lebende Lyriker seinen ersten eigenen Gedichtband an selber Stelle vorgestellt, schon damals begleitet vom Tittmoninger Josef Irgmaier am Klavier. Auch diesmal machten der Dichter und der Komponist/Pianist den Abend zu einer Art Jam Session aus Text und Musik. Irgmaiers Kompositionen, auch sie zumeist im Miniaturformat, augenzwinkernd und oft mit offenem Ende, nahmen Themen, Stimmungen, Strukturen aus Völlgers Gedichten auf und übersetzten sie in die andere Kunstgattung. Das scheinbar Vertraute immer wieder ungewohnt beleuchten, neu entdecken, anders denken, frisch sehen – das scheint die beiden Vortragenden des Abends zu verbinden.

Bei der Beschreibung des Verbindenden zwischen der Arbeit aller drei Künstler*innen war Josef Wittmann in seiner Einführung noch weiter gegangen. Nach einer kurzen Vorstellung des Dichters, der Malerin und des Musikers mit ihren äußerst unterschiedlichen, jeweils alles andere als geradlinigen Biografien, hatte er mit der von ihm selbst als „dreist“ bezeichneten These geendet, alle drei betrieben auf je eigene Weise „art informel“, also „eine Kunst, die über alles konkret wie gefühlsmäßig Vorhandene hinausgeht“. Unabhängig von einer solchen Zu- und Einordnung war für das Publikum des Abends jedenfalls spürbar, dass hier drei KünstlerInnen lustvoll „die Grenzen des Erfahrbaren“ ausloten.

Schönes Zusammen-Spiel in familiärer Atmosphäre: Josef Irgmaier (am Klavier)
und Siegfried Völlger

Lachen und Betroffenheit

Völlger und Irgmaier nahmen die Zuhörerschaft in der einstündigen Lesung mit Musik ganz selbstverständlich vertraut mit auf diese Reise. Im Plauderton verwob der Dichter Informationen zur Entstehung seiner Texte mit unprätentiös vorgetragenen Gedichten, deren überraschende Bilder und pointierte Kompositionen immer wieder Gelächter hervorriefen, deren Rätselhaftigkeit aber gelegentlich auch ratlos machte. Ernst und Bitterkeit einiger Texte ließen das Publikum allerdings auch betroffen schweigen und schienen gelegentlich den Vortragenden selbst zu überraschen. In manchen der autobiografischen Motive und sehr persönlichen Erinnerungsbilder schließlich waren Spuren der befreundeten Wittmanns zu entdecken.

Josef Irgmaier streute seine im Vorfeld auf Basis der Völlgerschen Lyrik entstandenen musikalischen Miniaturen von Klassik bis Blues spontan reagierend ein und setzte damit Nachhall, Kommentar oder Kontrapunkt zu Völlgers Vortrag. Schön zu sehen war die gespannte Aufmerksamkeit des je anderen beim Warten auf seinen neuerlichen Einsatz, das gegenseitige Wahrnehmen und Reagieren. Gemeinsam mit dem Publikum beobachtete Luise Wittmann die beiden dabei vor dem Hintergrund ihrer eigenen Bilder und lud anschließend als Galeristin noch zum Beisammensein vor und im Zollhäusl. Ein beglückender Abend, den Siegfried Völlger mit der Zugabe „lebensgeschichte“ aus Pilzfreund Bielers Posaune beschloss: „niederlagen / aber immer / glück gehabt“.

Siegfried Völlgers Lyrikbände Pilzfreund Bielers Posaune (2021) und Gespräch mit dem Wal und Freunden (2023) sind im Verlag edition offenes feld, Dortmund, erschienen. Die Ausstellung ausWal mit Werken von Luise Wittmann in der Galerie im Zollhäusl Tittmoning ist bis 20. Mai immer von Donnerstag bis Samstag zwischen 16 und 19 Uhr geöffnet.

Dr. Gerda Poschmann-Reichenau